Lasst uns heute Privatsphäre thematisieren – Privatsphäre wie wir sie kennen, könnte schon bald Geschichte sein, insofern sie das nicht schon ist. Es geht dabei um einen Bericht der New York Times, die eine höchst fragwürdige Anwendung und ihre Funktionsweise enthüllt hat. Diese Anwendung beherrscht die Gesichtserkennung wie kaum eine andere. Sie greift dabei auf eine Datenbank von über drei Milliarden Einträgen zu und gleicht gezielt Personen ab. Sie soll eine Trefferquote von über 75 Prozent haben. Doch wer verwendet diese App? Ist das legal und woher stammt diese Anwendung mit einer solch gigantischen Datenbank?
Soziale Netzwerke machen es möglich
Die besagte Software für Gesichtserkennung hört auf den Namen „Clearview AI“ und kann Menschen auf der Straße scannen und anschließend identifizieren. Was früher nur vermutet wurde oder in Filmen gezeigt wird, existiert wirklich. Dem New York Times Bericht zufolge sollen bereits mehrere hundert Ermittlungsbehörden – einschließlich dem FBI – diese mobile Software im Einsatz haben. Die Datenbank beinhaltet rund drei Milliarden Bilder von Menschen rund um den Globus. Doch woher kommen diese Aufnahmen? Die Antwort – soziale Netzwerke. Demnach soll „Clearview AI“ auf Facebook, Youtube und Co. zugreifen können und das dortige Bildmaterial abspeisen. Dabei kann der Zugriff nur auf öffentliche Profile erfolgen. Das heißt, Profile die als privat geführt werden, sind bislang nicht betroffen. Die Einträge beinhalten außerdem die entsprechenden Verlinkungen zu den Accounts und weitere persönliche Daten. Erzielt „Clearview AI“ einen Treffer, so erhalten die Ermittler eine umfangreiche Zusammenfassung über die Zielperson.
„Clearview AI“ ist bislang nicht öffentlich zugänglich
Derzeit wird die App lediglich von Strafverfolgungsbehörden verwendet. Doch das könnte sich bald ändern. Sowohl Investoren als auch Polizeibeamte glauben, dass „Clearview AI“ irgendwann öffentlich zugänglich sein wird. Demnach wäre es also möglich, dass eine fremde Person das Handy aus der Tasche zieht, ein Bild von jemandem macht und durch den Abgleich in der Datenbank alle nötigen Informationen erhält. Wahnsinn, oder? Den Strafverfolgungsbehörden zufolge, wird die App zur Aufklärung von Verbrechen von Ladendiebstahl über sexuelle Ausbeutung von Kindern bis hin zu Mord eingesetzt. Doch wer garantiert uns, dass die Anwendung nicht für andere Zwecke missbraucht wird – etwa Stalking?
Wer hinter „Clearview AI“ steckt und was Facebook dazu sagt
Doch wer steckt eigentlich hinter dieser extrem fortgeschrittenen Technologie? Auch das war bis vor wenigen Tagen nicht bekannt. So schreibt die Times Journalistin Kashmir Hill, dass der Firmengründer und Clearview-Erfinder ein 31-jähriger Australier ist, der in die USA gezogen sei. Dieser pflegte es stets, unter dem Radar zu bleiben. Ton-That, so der Name, entwickelte die Anwendung mit seinem Geschäftspartner Richard Schwartz, einem ehemaligen Mitarbeiter des heutigen Anwalts von Donald Trump. Doch es gibt auch einen prominenten Investor. So soll Paypal-Mitbegründer Peter Thiel rund 200.000 US-Dollar in dieses Projekt investiert haben. Und was sagt Facebook dazu? Der Social Media Gigant möchte angemessene Maßnahmen vornehmen – schließlich würde das Abgreifen von Bildmaterial gegen die allgemeinen Nutzungsbedingungen verstoßen. Das Pikante dabei ist allerdings die Tatsache, dass Mr. Thiel in Facebooks Aufsichtsrat sitzt – genau mein Humor.
Prototyp-Version der App für AR-Brillen bestätigt
Natürlich hat sich die New York Times nicht die Gelegenheit nehmen lassen und bei Clearview direkt angefragt. So kommentierte Ton-That den Vorwurf wie folgt: „Viele Menschen tun das. Facebook weiß darüber Bescheid“. Doch damit nicht genug. Im weiteren Gesprächsverlauf mit der Times, offenbarte Ton-That eine neue Version dieser App. Seiner Aussage nach sei diese mit Augmented-Reality-Brillen kompatibel. Der Vorteil dieser Version – eine Echtzeit-Identifizierung. Gleichzeitig versicherte er allerdings, dass diese Version von „Clearview AI“ nicht für den Verkauf gedacht sei. Ob das in ein paar Jahren noch immer so sein wird, bleibt natürlich abzuwarten.
Datenbanken, die zum Abgleich von Profilen dienen, sind nicht neu. Doch in diesem Fall sprengt „Clearview AI“ alle Vorstellungen – mit über drei Milliarden Einträgen ist das definitiv beängstigend. Wie sich das Ganze weiterentwickeln wird und was es für unsere Privatsphäre bedeutet, bleibt vorerst abzuwarten – eine Neudefinition dieser wäre allerdings nicht auszuschließen. (Photo by ra2studio / Bigstockphoto)